Kleinkinder und der Krieg in der Ukraine – Tipps von SOS-Kinderdorf-Expert*innen Schon die Kleinsten können etwas tun
München, 28. März 2022. „Mama, Papa, warum ist Krieg?“ Seit
einem Monat entkommen weder Erwachsene noch Kinder neuen Nachrichten vom „Krieg
in Europa". Wer Kindern verschweigt, dass es Gewalt und Konflikte gibt,
verschweigt ihnen die Wahrheit, sagt Lars Becker, Einrichtungsleiter des
SOS-Kinderdorfes Bremen und promovierter Sonderpädagoge. „Kinder haben feine
Antennen. Bereits im Kindergartenalter bemerken sie, wenn die Eltern etwas
beschäftigt“, weiß auch seine Kollegin Ulrike Glingener, die als Sozialpädagogin
auf Kleinkinder spezialisiert ist. Sie rät Eltern: Sorgen in einfachen Worten
ansprechen und dabei immer vermitteln, dass man für sie da ist. Auch für
Kleinkinder gibt es schon vielfältige Möglichkeiten, Solidarität zu zeigen und
so den Sorgen kindgerecht Raum zu geben. Für Eltern wie Kinder gilt derzeit
aber auch: Es ist wichtig und in Ordnung, Freude zu zeigen und sich auch mit
schönen Dingen zu beschäftigen.
„Eltern sollten mit ihren Kindern grundsätzlich über alles
sprechen, wonach diese fragen. Und sie dürfen es als positives Signal
verstehen, dass ihr Nachwuchs sich an sie wendet“, sagt Sonderpädagoge Lars
Becker. Es sei zunächst wichtig zu verstehen, worum es dem Kind wirklich gehe:
„Eltern sollten sich auf das Interesse des Kindes fokussieren und genau darauf
eine kurze deutliche und kindgerechte Antwort geben. Eltern haben ein eigenes
Gespür dafür, wie konkret ihre Antworten ausfallen dürfen.“ Sollte es keine
Antwort oder verlässliche Aussage geben, genügt auch ein ehrliches „Ich weiß es
nicht“, rät Becker.
Dramatisierende Bilder und Phantasien vermeiden
Eltern sollten bei ihren Erklärungen keine Details
beschreiben – es reicht, eine kindgerechte und vor allem auch altersgemäße
Erklärung zu geben, bekräftigt auch Sozialpädagogin Glingener. Ist dem Kind das
Konzept von Tod und Leben vertraut, können Eltern den Tod von Soldaten auch
benennen, andernfalls genüge es davon zu sprechen, dass sich Menschen sehr
wehtun. „Holen Sie die Kinder in ihrer eigenen Lebenswelt ab und machen sie so
die Situation für sie besser greifbar. Erklären Sie gerade kleinen Kindern,
dass es zum Beispiel auch auf dem Spielplatz Streitigkeiten um Spielzeug oder
ähnliches gibt“, rät sie.
Authentisch sein, ehrlich bleiben
Mit Kindern über den Krieg zu sprechen, erfordert einen für
sie angemessenen Ton zu treffen: „Im Idealfall erleben Kinder ihre Eltern dabei
als sachlich, stimmig, aber nicht emotionslos“, weiß Sonderpädagoge Becker.
Wenn sie selbst Ängste haben, sollten sie dies ehrlich ausdrücken – wenn Erwachsenen nach Weinen zumute ist und
sie immer nur lächeln, verwirrt dies die Kinder nur zusätzlich. „Indem wir
darüber sprechen, werden die Ängste kleiner, denn wir alle merken, dass wir
nicht allein sind“, erklärt seine Kollegin Ulrike Glingener und empfiehlt: „Kleinkinder
besitzen noch so genanntes magisches Denken, was für sie bedeutet, dass sie mit
ihrem Kuscheltier nachts einen Beschützer haben. Das sollten wir nutzen.“
Mit Kleinkindern Solidarität gegenüber Geflüchteten zeigen
Die Diplom-Sozialpädagogin aus der Frühberatungsstelle Süd
des SOS-Kinderdorfes Bremen appelliert an alle Eltern: „Sie können darin den
Kindern Vorbild sein, bewusst die Gedanken auf anderes zu lenken oder
Solidarität zu zeigen, indem sie zum Beispiel Friedenszeichen malen und ans
Fenster hängen oder gemeinsam Sachspenden vorbereiten. Bei uns im
Quartierszentrum haben Kinder ein PEACE-Bild aus Lego gebaut. So können schon
die Kleinsten ihre Meinung kundtun und merken: Auch ich kann etwas tun. Das
hilft allen – ob Groß oder Klein.“
Expert*innen-Tipps zum Thema „Mit kleinen Kindern über den
Krieg sprechen“ im Überblick:
• Selbst
Kleinkinder bekommen mit, wenn Erwachsene etwas beschäftigt. Daher gilt auch
beim Ukraine-Krieg: Wenn sich Eltern Sorgen machen, sollten sie Kindern in
einfachen Worten sagen, was sie befürchten und klar signalisieren, was sie tun,
um sich und die Kinder zu beschützen.
• Sie
müssen keine Details beschreiben. Es genügt zu sagen, dass Häuser zerstört und
Menschen verletzt oder getötet wurden und dass die Menschen aus der Ukraine
Angst haben und Schutz suchen. Erklären Sie auch, dass die Menschen daher ihre
Städte verlassen müssen und neue Wohnungen benötigen.
• Für
Kinder, egal welchen Alters, ist es wichtig, dass die Eltern untereinander
stimmig bleiben – das gilt übrigens auch in anderen schwierigen Lebensphasen
wie Krankheit oder Tod in der Familie.
• Wenn
Erwachsenen nach Weinen zumute ist, sollten sie dies tun – alles andere würde
Kinder verwirren. Sie spüren, was ehrlich ist und was gespielt.
• Es ist in
Ordnung und wichtig, sich abzulenken und sich nicht nur mit Angst zu
beschäftigen.
• Bei Geschwisterkindern:
Besprechen Sie bei einer Tasse Tee oder Kakao gemeinsam und in Ruhe, wer was
gehört hat, wer was weiß oder wissen möchte.
• Holen Sie
die Kinder in ihrer eigenen Lebenswelt ab: Erklären Sie kleinen Kindern, dass
es auch auf dem Spielplatz Streitigkeiten gibt. So machen sie die Situation für
diese besser greifbar.
• Mit
älteren Kindergarten- und Grundschulkindern macht es Sinn, gemeinsam
Kindernachrichten (zum Beispiel „logo!“) zu schauen. Falls nötig, liefern Sie
kindgerechte und altersangemessene Erklärungen nach.
• Den
Kindern, egal welchen Alters, Ängste keinesfalls ausreden. Im Gegenteil: Fragen
Sie, was helfen würde, dass sie sich sicher fühlen!
• Genau wie
bei uns Erwachsenen: Sobald wir darüber reden, werden die Ängste kleiner, denn
dies löst mindestens die Sorge, mit den Problemen allein zu sein.
• Bei
Kleinkindern „magisches Denken“ nutzen: mit ihren Kuscheltieren haben sie
Beschützer, die auf sie aufpassen und vor bösen Träumen bewahren
• Falls die
Kindern Bedenken äußern, der Krieg käme auch zu uns: Signalisieren Sie, dass
wir uns über das Weltgeschehen informieren und versuchen, Einfluss zu nehmen –
indem wir unseren Willen öffentlich bekunden, zum Beispiel über Leserbriefe
oder Demos.
• Auch
Kindergartenkinder können ihre Solidarität ausdrücken, zum Beispiel mit selbst
gemalten Friedenszeichen oder Sachspenden.
Der SOS-Kinderdorf e.V.: SOS-Kinderdorf bietet Kindern in
Not ein Zuhause und hilft dabei, die soziale Situation benachteiligter junger
Menschen und Familien zu verbessern. In SOS-Kinderdörfern wachsen Kinder, deren
leibliche Eltern sich aus verschiedenen Gründen nicht um sie kümmern können, in
einem familiären Umfeld auf. Sie erhalten Schutz und Geborgenheit und damit das
Rüstzeug für ein gelingendes Leben. Der SOS-Kinderdorfverein begleitet Mütter,
Väter oder Familien und ihre Kinder von Anfang an in Mütter- und
Familienzentren. Er bietet Frühförderung in seinen Kinder- und
Begegnungseinrichtungen. Jugendlichen steht er zur Seite mit offenen Angeboten,
bietet ihnen aber auch ein Zuhause in Jugendwohngemeinschaften sowie
Perspektiven in berufsbildenden Einrichtungen. Ebenso gehören zum
SOS-Kinderdorf e.V. die Dorfgemeinschaften für Menschen mit geistigen und
seelischen Beeinträchtigungen. In Deutschland helfen in 38 Einrichtungen
insgesamt rund 4.600 Mitarbeitende. Der Verein erreicht und unterstützt mit
seinen über 800 Angeboten rund 83.500 Menschen in erschwerten Lebenslagen in
Deutschland. Darüber hinaus finanziert der deutsche SOS-Kinderdorfverein 91
Programme in 22 Fokusländern und ist in 110 Ländern mit Patenschaften aktiv.
Mehr Informationen unter www.sos-kinderdorf.de
Mü
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